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Reutlinger Tagblatt :: 27.09.2004
WEINANBAU / Initiative hatte am Samstag Paten zur
Begutachtung geladen
Im nächsten Jahr gibt es Federweißer
Weinbergfest mit ersten Kostproben bei Gerhard Henzler
- Aktion an der Achalm macht Fortschritte
Vor zwei Jahren suchte Grundstücksbesitzer
Gerhard Henzler Rebstockpaten, um gemeinsam mit Bürgern an der Achalm
wieder Weinbau zu betreiben. Am Samstag konnten sich die Paten beim Weinbergfest
über den Fortschritt der Aktion mit ersten Kostproben informieren.
VON MARIE-LOUISE ABELE
REUTLINGEN Spätburgunder,
Müller- Thurgau, Portugieser, Schwarzriesling und Chardonnay am Reutlinger
Hausberg wird privat seit einem Jahr wieder fleißig Weinbau betrieben,
wenn auch in wesentlich kleinerem Stil als noch vor 100 Jahren. Gerhard
Henzler, Grundstücksbesitzer an der Achalm, war vor zwei Jahren auf
der Suche nach gleichgesinnten Weinfreunden. Mit Patenschaften, dem „Rebenkauf
auf Zeit", waren diese aufgerufen, sich mit 50 Euro pro Stock an
der Bepflanzaktion zu beteiligen. Die Mühe soll in Zukunft mit eigenem
Wein belohnt werden - die „Initiative Reutlinger Wein" war geboren.
Vor anderthalb Jahren dann wurden auf 25 Ar gut 1000 Stöcke der genannten
Rebensorten angebaut. Am Samstag konnten die etwa 30 Paten, unter ihnen
auch Mundartdichter Wilhelm König und Tübingens Uni-Rektor Prof.
Eberhard Schaich, bei einem Weinbergfest ihre Rebstöcke begutachten.
Trotz des anhaltenden Regens kamen sie in Scharen herbei, Henzler stand
jedem Gast für Erklärungen rund um Anbau und Pflege zur Verfügung.
Auf den Weg hinunter zu den Rebstöcken wurde verzichtet, der durch
den Regen aufgeweichte Erdboden ließ einen Spaziergang nicht zu.
Doch Familie Henzler war auf ihrem Grundstück, mit herrlichem Blick
über die Dächer der Stadt, für alle Witterungserscheinungen
gerüstet. Unter Segeldächern und Sonnenschirmen warteten „Versucherle"
jedweder Art: Gebäck, Wurst, Käse, Rot- und Weißwein aus
Hohenheim. „Unseren Reutlinger Wein werden wir voraussichtlich in zwei
Jahren probieren können, im nächsten Jahr hoffentlich schon
den Federweißer", freute sich Henzler. Doch, den „eigenen"
Wein konnten die Gäste trotzdem kennen lernen - in Formen von frischen
Trauben. Die waren zwar dieses Jahr noch recht spärlich gewachsen,
dafür äußerst schmackhaft - dank des wechselhaften Sommerwetters.
„Vor Jahren sah es noch nicht danach aus, dass hier jemals wieder Weinstöcke
stehen würden", erklärte Henzler. Rechtliche und „politische"
Hürden beim Regierungspräsidium und dem Landwirtschaftministerium
mussten überwunden werden, nachdem er 1989 die leerstehenden Grundstücke
an der Achalm gekauft hatte. „Die Grundstücke waren so verwildert,
dass ich nur mit der Fechtmaske meiner Frau unbeschadet einen Weg hindurch
fand", erinnerte sich Henzler schmunzelnd. Erst Änderungen in
den weinrechtlichen Bestimmungen brachten vor vier Jahren den Durchbruch
für die Bepflanzung. Der Traum von der Rekultivierung des ehemaligen
Rebflurs für den Erhalt der Weinbau Struktur war lange tief bei Henzler
verwurzelt.
Heute stehen ihm neben Tübinger Experten auch Nikolaus Merkt, wissenschaftlicher
Mitarbeiter des Fachgebiets Weinbau der Uni Hohenheim mit Rat und Tat
zur Seite. Letzterer zeigte sich für die künftige Qualität
des Weines zuversichtlich. „Der Spätburgunder hat ein Mostgewicht
von 97 Grad Öchsle. Das ist schon viel versprechend für die
anspruchsvolle Rebe", klärte er die Runde auf und reichte das
Messgerät herum. So kamen die Paten noch in den Genuss eines Expertenvortrags,
wobei sie auch lernten, dass schlechtes Wetter gut für die Edelfäule
des Weißweins ist.
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