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Reutlinger Blatt:: 27.09.2004
Im nächsten Jahr fließt der Wein
Neuer Weinbau an der Reutlinger Achalm: Überraschend
starke Öchslegrade trotz extremer Lage REUTLINGEN
(haa). Schwatzriesling, Portugieser, Spätburgunder, Müller-Thurgau,
Chardonnay und als Farbtupfer ein paar rotblättrige Reben des Cabernet
Mitos: Die Aufzählung alleine macht durstig. Was sich aber wie der
Auszug aus einer Weinfibel liest, ist der vielfältige Rebenbestand
des neuen Reutlinger Weinberges an der Sommerhalde.
Der Reutlinger Hobby-Wengerter Gerhard Henzler ist ein sympathischer Sturkopf.
Und das muss er auch sein. Denn bis er alle bürokratischen Hürden
für seinen Traum vom eigenen Weinberg an der Achalm überwunden
hatte, dauerte es gut zehn Jahre. Jetzt endlich fin¬det sich sein
Grundstück im Reben-aufbauplan der Europäischen Gemeinschaft,
der auf den Quadratmeter genau festlegt, welche Fläche mit Reben
bestückt werden darf und seine Rebstöcke stehen bereits im zweiten
Jahr.
Am Samstag lud Gerhard Henzler Freunde und Interessierte zu einer ersten
Teillese auf den Reutlinger Hausberg. Und obwohl' es in Strömen regnete
und der aktive Teü der Veranstaltung somit buchstäblich ins
Wasser fiel, fanden sich doch einige Neugierige ein, um die Fortschritte
im neu erblühenden Reutlinger Weinbau zu begutachten. Mehr als tausend
Rebstöcke hat Henzler im vergangenen Jahr gepflanzt Jedem von ihnen
steht eine Bodenfläche von 2,5 Quadratmetern zur Verfügung,
was sehr viel ist.
Dabei waren die Startvoraussetzungen für die jungen Rebpflanzen alles
andere als günstig. Nur durch starke Bewässerung konnte die
Trockenheit des Jahres 2003 kompensiert und den Reben die zum Anwachsen
und Gedeihen nötige Feuchtigkeit gegeben werden. In Jahren mühevoller
Arbeit hat der Idealist mit einigen Helfern eine verbuschte Landschaft
mit Eschen, Haselnuss- und Brombeersträuchern wieder in einen bebaubaren
Zustand verwandelt. Nutzte er ganz zu Anfang noch die Fechtmaske seiner
sportlichen Frau, um überhaupt auf die stacheligen Grundstücke
vorzudringen, so hat er später durch Arbeiten am gerodeten Gelände
eine leichte Mulde und damit ein Mikroklima geschaffen, in der die Wärme
nach innen strahlt.
Das Ergebnis, am Samstag von Nikolaus Merkt, einem wissenschaftlichen
Mitarbeiter im Fachgebiet Weinbau der Uni Hohenheim in Öchslegraden
gemessen, gibt Henzler Recht: Das Refraktometer zeigte beinahe sensationelle
97 Grad beim Spätburgunder. Eine Traubensorte, die auch in den von
der Sonne verwöhnten Regionen nicht mehr als 100 Öchslegrade
schafft.
Schade eigentlich, dass erst im kommenden Jahr ernsthaft mit der Produktion
von Wein begonnen werden kann, fanden die Interessierten, die am Samstag
schon einmal vergleichbare Weine aus der Produktion der Uni Hohenheim
verkosten durften. Aber Weinstöcke benötigen ein gewisses Alter,
bevor sie zu vollwertigen Weinlieferanten werden. Und so wächst die
Vorfreude bei jenen, die sich über eine Rebenleasing-Patenschaft
bei Henzler bereits ihren Anteil zukünftiger Tröpfchen von der
echten Reutlinger Sommerhalde gesichert haben.
Bei diesem „Rebenkauf' auf Zeit, erhält der Leasingnehmer für
vorerst fünf Jahre gegen ein gewisses Entgelt den Weinertrag der
vom ihm geleasten Rebstöcke. Und damit er oder sie, seine Pflanzen
unter den tausend anderen auch wieder finden kann, erarbeitet der Weingärtner
gerade ein System, bei dem die einzelnen Rebzeilen mit Buchstaben versehen
werden. Bis jetzt beteiligen sich etwa 30 Weinliebhaber an der originellen
Idee des Weinleasings.
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